Direkt zum Inhalt
 

Stellungnahme zum Haushaltsgesetz 2024

Der Dachverband wird am 19.10.2023 durch die Vorstandsfrau Gabriele van Stephaudt beim Haushalts- und Finanzausschuss des Landes Nordrhein-Westfalen als Sachverständige zum Haushaltsgesetz 2024 Stellung nehmen.
Sie wird über die kritische finanzielle Situation der Mitgliedseinrichtungen berichten.
Hier unsere schriftliche Stellungnahme:

Stellungnahme zum


"Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2024 (Haushaltsgesetz 2024)
Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucksache 18/5000
Anhörung des Haushalts- und Finanzausschusses am 19. Oktober 2023"


hier ausschließlich zu


Einzelplan 07, Kapitel 07 60 „Gleichstellung von Frauen und Männern“, Titelgruppe 61 „Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen“


Der Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.V. vertritt 51 autonome Frau-enberatungsstellen, d.h. allgemeine Frauenberatungsstellen und integrierte Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt, in Nordrhein-Westfalen. Die Beratungsstellen sind spezialisierte Fachberatungsstellen, die

 

  • unabhängig und parteilich mit von Gewalt bedrohten und betroffenen Frauen und Mädchen arbeiten;
  • Hilfe unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Ursachen von geschlechtsspezifischer Gewalt leisten;
  • über umfangreiches Fachwissen und langjährige Praxiserfahrung verfügen;
  • nach professionellen Qualitätsstandards und Ethikrichtlinien arbeiten;
  • zielgruppenspezifische und praxisorientierte Fortbildungen für verschiedene Berufsgruppen und Institutionen anbieten;
  • als Kooperationspartnerinnen von anderen Fachstellen mit ihrer Expertise gefragt sind, z.B. bei der Gefährdungseinschätzung und Entwicklung von Schutzkonzepten;
  • sich aktiv an der Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt beteiligen;
  • durch vielfältige Vernetzung zum Schutz vor Gewalt (z.B. in den Runden Tischen gegen Gewalt) beitragen.


Die gesellschaftliche Bedeutung dieser komplexen und qualitativ hochwertigen Anti-Gewalt-Arbeit zeigte sich nicht zuletzt während der Corona-Pandemie: Die Frauenberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen wurden als systemrelevant anerkannt.


Abgesehen davon hat sich die Bundesrepublik Deutschland und damit auch das Land Nordrhein-Westfalen mit der Anerkennung der auf der Grundlage der Istanbul-Konvention ge-schaffenen Rechtsnormen nicht nur verpflichtet, jede Form von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu bekämpfen und zu verhüten, sondern auch die Unterstützungseinrichtungen für Betroffene mit auskömmlichen finanziellen Mitteln auszustatten.


Die im Haushaltsgesetz 2024 bereitgestellten Mittel in der Titelgruppe 61 „Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen“ machen jedoch deutlich, dass wir von einer auskömmlichen Finanzierung der Einrichtungen des Unterstützungssystems in Nordrhein-Westfalen noch weit entfernt sind.


Eine Kürzung des Ansatzes um 300.000,00 € in der o.g. Titelgruppe 61, Nr.3 betrifft die „qualitative und quantitative Weiterentwicklung des Frauenunterstützungssystems durch die Förderung von Projekten im Bereich >>Gewalt gegen Frauen<< einschließlich der Förderung örtli-cher und regionaler Kooperationen gegen Gewalt an Frauen, Präventionsmaßnahmen, Maßnahmen der anonymen Spurensicherung sowie von zielgruppenspezifischen Projekten.“


Diese Kürzung stellt aus unserer Sicht eine Schwächung wichtiger Eckpfeiler des Unterstüt-zungssystems dar: Bestehende Kooperationsbündnisse (Runde Tische gegen häusliche Gewalt), die vor Ort gemeinsam Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen und ihren Kindern entwickeln und umsetzen, werden in ihrer Arbeit eingeschränkt; die Anonyme Spurensicherung bei sexualisierter Gewalt ist nach wie vor weder flächendeckend etabliert noch im öffentlichen Bewusstsein präsent; und die herausragende Bedeutung von Präventionsmaßnahmen zeigt sich schon daran, dass sie der Sensibilisierung, Enttabuisierung und damit der Verhütung von geschlechtsspezifischer Gewalt dienen.


Die vom MKJFGFI NRW für die Haushaltsjahre 2024 bis 2027 eingeplanten Förderpauschalen für Personal- und Sachkosten bieten keine auskömmliche Finanzierung.


Die Einfrierung der „Zuschüsse an Träger von Einrichtungen des Unterstützungssys-tems“ (Titelgruppe 61, Nr. 1) ist angesichts der jüngsten wirtschaftspolitischen Entwicklungen für die allgemeinen Frauenberatungsstellen und Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt de facto eine Kürzung.


Das gefährdet die Existenz der Beratungsstellen.


Denn die in den Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Frauen-beratungsstellen vorgesehene Förderung von bis zu 85 % der Personalkosten wird in einigen Beratungsstellen um bis zu 20 % unterschritten. Auch die Erhöhung der so genannten Sachkostenpauschale auf 10.000 € statt 7.500 € deckt nicht den Bedarf unter Berücksichtigung der aktuellen Kostensteigerungen.


Die Höhe der Eigenmittel, d.h. die Finanzierung der so genannten Restkosten, kann von den Trägervereinen weder durch Mitgliedsbeiträge noch durch Fortbildungs- oder Gruppenange-bote, Spenden(akquise) oder Bußgelder erwirtschaftet werden. Dazu fehlen ihnen die personellen Ressourcen. Und da es sich bei der Kostenübernahme durch kommunale Mittel - wenn überhaupt - in der Regel um „freiwillige Leistungen“ handelt, ist eine Erhöhung dieser Mittel nicht nur äußerst unwahrscheinlich, sondern auch nicht gesichert. Das ist für die Frauenberatungsstellen existenzbedrohend und würde in der Folge zu noch größeren Lücken in der Versorgung der gewaltbetroffenen Frauen führen.

Frauenberatungsstellen und Fachstellen gegen sexualisierte Gewalt benötigen eine sichere und bedarfsgerechte Finanzierung, um Betroffenen eine verlässliche Unterstützung anbieten zu können.


Unzureichende Rahmenbedingungen belasten die Einrichtungen und ihre Mitarbeiterinnen, aber auch die Betroffenen und letztlich die Gesellschaft: Häusliche Gewalt hat gesundheitliche, generationenübergreifende und sozioökonomische Folgen und verursacht nicht nur individuelles Leid, sondern auch hohe gesellschaftliche Kosten. Eine deutschlandweite Erhebung aus dem Jahr 2017 kommt auf Gesamtkosten von mindestens 3,8 Milliarden Euro pro Jahr für u.a. medizinische Versorgung, Gerichtsverfahren, Rehabilitationsmaßnahmen und Arbeitsunfähigkeit.


Der Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.V. fordert die Abgeordneten des Landtags NRW auf, für eine ausreichende und sichere Finanzierung der Frauenunterstützungsinfrastruktur im Allgemeinen und der Frauenberatungsstellen im Besonderen im Sinne der Istanbul-Konvention und ihrer gesellschaftlichen Systemrelevanz zu sorgen.

NOTAUSSTIEG

Falls Sie das Gefühl haben, nicht sicher zu sein oder sich in einer akuten Bedrohungssituation befinden, klicken Sie auf das Notausstiegsymbol. Diese Seite wird automatisch geschlossen.